In den vergangenen Jahrzehnten hat sich eine feste Zeitspanne für den Jahresplan einer Kuh etabliert: Eine 305-Tage Laktation, anschließend eine genormte Trockenstehphase. Auf vielen Betrieben beträgt sie sechs Wochen, auf anderen etwas mehr oder weniger. Oder es werden Gruppen mit ähnlicher Abkalbezeit zeitgleich trockengestellt. Dann wird nach etwa 40 Tagen die nächste Besamung angestrebt. Das macht Arbeitsabläufe standardisierbar, die Stallbelegung planbar und die Interpretation der Zwischenkalbezeitstatistik einfach. Doch ist das wirklich optimal und noch zeitgemäß?
Zunächst einmal: Daran ist nichts falsch. Mit standardisierten Abläufen zu arbeiten verringert die Fehlerquote und für einen Großteil der Tiere bewegt man sich mit diesen Standardwerten sowohl im physiologischen als auch im finanziellen Toleranzbereich.
Doch auch hier ist Verbesserungspotential vorhanden, gerade im oberen Leistungsbereich, und wer seinen Betrieb optimieren möchte, sollte sich zumindest damit auseinandergesetzt haben.
Grundlagen und Begriffsklärung zur Zwischenkalbezeit
Das folgende Schema bietet einen guten Überblick über die Zeitspannen, um die es sich in diesem Ratgeber drehen wird. Befassen wir uns kurz mit der Begriffsklärung:
Quelle: Fokus Tierwohl
Die Zeit zwischen letzter Kalbung und der erfolgreichen Wiederbesamung wird als Güstzeit bezeichnet. Sie umfasst die Rastzeit und die Verzögerungszeit.
Die Rastzeit, die mit der ersten Besamung endet, setzt sich wiederum zusammen aus der freiwilligen und der unfreiwilligen Wartezeit.
Die freiwillige Wartezeit ist die Stellschraube, mit der wir uns in diesem Ratgeber näher befassen werden. Sie liegt derzeit im Allgemeinen bei etwa 40 Tagen.
Dagegen ist die unfreiwillige Wartezeit per se nicht beeinflussbar: die Kuh sollte jetzt besamt werden, doch das findet nicht statt. Zu allermeist liegt das daran, dass keine suffiziente Brunst festgestellt werden kann. Nähere Infos hierzu finden Sie übrigens im Ratgeber „Fruchtbarkeitsprobleme“.
Ist die erste Besamung nicht erfolgreich, schließt sich die Verzögerungszeit an. Diese dauert vom ersten Besamungsversuch bis zur erfolgreichen Besamung.
Alle Zeitspannen zusammen plus die Trächtigkeitsdauer ergeben dann die Zwischenkalbezeit.
Entwicklung der Zwischenkalbezeit in den letzten Jahrzehnten
In den Statistiken der letzten dreißig Jahre hat sich nicht nur die Milchleistung der Durchschnittskuh deutlich verändert, auch die Zwischenkalbezeit stieg merklich an. Während 1990 im Schnitt etwa 5.500 kg Jahresleistung und eine Zwischenkalbezeit von 387 Tagen normal waren, lag 2020 der Durchschnitt bereits bei 9.200 kg Jahresleistung – und stolzen 405 Tagen Zwischenkalbezeit.
Die Empfehlungen lagen (und liegen zumeist immer noch) bei folgenden Werten: Ein Kalb pro Jahr, 305 Tage Laktation, 40 Tage freiwillige Rastzeit, weniger als 105 Tage Güstzeit und damit nicht mehr als 400 Tage Zwischenkalbezeit. Diese Werte sollten allerdings nicht stumpf als absolute Wahrheit angesetzt werden – denn je nach Umständen können sie auch weit am Optimum vorbeischießen. Genauer hinschauen lohnt sich.
Eine verlängerte Zwischenkalbezeit nutzt Potentiale
Will man das Leistungspotential seiner Tiere optimal nutzen, lohnt es sich durchaus, hier von den „Normwerten“ abzuweichen und einmal genauer hinzusehen. Eine verlängerte Zwischenkalbezeit lohnt sich bei Tieren, die
- eutergesund
- hochleistend und
- persistent sind, also eine flache Laktationskurve haben, sprich, deren Milchmenge nach der Laktationsspitze nur langsam abflacht.
Für diese Tiere ist es sowohl wirtschaftlich als auch physiologisch absolut sinnvoll, die Zwischenkalbezeit zu verlängern: Zum einen wird die Milchleistung der aktuellen Laktation länger ausgenutzt, zum anderen verlängert sich die insgesamte Nutzungsdauer des Tieres durch die längere Erholungsphase. Das rechnet sich im Milchgeld und trägt außerdem zu mehr Tierwohl, mehr Nachhaltigkeit und weniger Arbeitsaufwand bei. Ein Plus auf ganzer Linie also!
Bessere Besamungserfolge bei Hochleistungskühen
Hochleistende Kühe stecken zu Anfang der Laktation häufig ihre gesamte Energie in die Milchproduktion und haben keine Kapazitäten mehr für eine neue Trächtigkeit. Sie weisen häufiger inaktive Eierstöcke auf und selbst wenn erfolgreich besamt wird, werden die Embryonen bereits in einem frühen Entwicklungsstadium wieder resorbiert: Es ist einfach keine Energie für eine Trächtigkeit übrig. Das hat zur Folge, dass die Besamungsquoten oft nicht zufriedenstellend sind. Diese Kühe zeigen deutlich bessere Besamungsergebnisse ab dem 120.ten Laktationstag – hier lohnt es sich also, die Besamungsversuche später zu beginnen. Auch die Häufigkeit von Hormonbehandlungen wird reduziert, was ebenfalls Kosten spart.
Das genaue Gegenteil ist übrigens bei niedrigleistenden Kühen der Fall: ihre Non-Return-Rate ist besser, je früher sie nach der Kalbung wieder besamt werden. 40 Tage sind hier weiterhin der Richtwert.
Längere Nutzungsdauer
Indem der Kuh eine längere Güstzeit zugestanden wird, treten also weniger „Fruchtbarkeitsprobleme“ bzw. erfolglose Besamungen auf. Im Endeffekt spart man sich schlichtweg die frühen Besamungsversuche, die ohnehin nur eine geringe Aussicht auf Erfolg haben und damit nur Zeitaufwand und Kosten verursachen. Statt das Tier dann nach drei (zu früh erfolgten) Besamungsversuchen als unfruchtbar zu merzen, wird einfach später besamt, die Kuh wird leichter trächtig und verbleibt weiter im Betrieb.
Höhere Milchleistung
Neben dem offensichtlichen Effekt der längeren Nutzung der Laktation kommt noch ein weiterer Punkt hinzu: Viele Tiere zeigen einen mehr oder weniger deutlichen Milchleistungseinbruch zum Zeitpunkt der erfolgreichen Wiederbesamung. Dieser ist natürlich umso deutlicher, je mehr Milch das Tier in diesem Moment eigentlich geben würde – und fällt daher geringer aus, wenn später besamt wird.
Geringerer Arbeitsaufwand
Klar, weniger erfolglose Besamungen, weniger Arbeitsaufwand – aber damit nicht genug. Die Arbeitsersparnis erstreckt sich auch auf andere Bereiche. Denn es kommt im Endeffekt zu weniger Abkalbungen: Es müssen auch weniger Kälber versorgt werden, es treten weniger postpartale Probleme auf und die Kühe verbringen mehr Zeit ihres Lebens als „Mitläufer“ in der Herde, gehen zum Melken und zum Fressen und verursachen in dieser Zeit keinen zusätzlichen Arbeitsaufwand.
Die leistungsabhängige Zwischenkalbezeit in Zahlen
Jetzt aber konkret – wie lange ist denn nun sinnvoll?
Kurz gesagt: Je höher die Leistung der Kuh, desto länger sollte die Zwischenkalbezeit sein. Bei Leistungen über 10.000 kg pro 305-Tage-Laktation ist es beispielsweise am wirtschaftlichsten, der Kuh mindestens 100 Tage freiwillige Rastzeit zuzugestehen. Hätten Sie das gewusst?
305-Tage-Leistung | |||
< 9.000 kg | 9.000-10.000 kg | > 10.000 kg | |
optimale Zwischenkalbezeit | 340-370 Tage | 371-400 Tage | 401-430 Tage |
Rastzeit | 40-60 Tage | 80-100 Tage | > 100 Tage |
Zu beachten ist hier lediglich, dass eine verlängerte Zwischenkalbezeit bei zu reichlicher Fütterung zu einer Verfettung gegen Ende der Laktation führen kann. Hier sollte genau beobachtet und die Ration gegebenenfalls angepasst werden. Je hochleistender die Kuh, desto geringer ist allerdings das Risiko.
Wann muss die Kuh spätestens wieder besamt sein, um noch wirtschaftlich zu sein?
Nachstehend finden Sie eine Tabelle, die sich als Spickzettel für Besamungs- und Merzungsentscheidungen eignet. Denn der letzte sinnvolle Besamungszeitpunkt hängt natürlich ebenfalls von der Milchleistung ab.
Jahresmilchleistung in kg | letzter sinnvoller Besamungszeitpunkt |
6.500 – 7.500 | 110 |
7.500 – 8.500 | 137 |
8.500 – 9.500 | 160 |
9.500 – 10.500 | 179 |
10.500 – 11.500 | 198 |
11.500 – 12.500 | 218 |
über 12.500 | 220 |
modifiziert nach Fokus Tierwohl
Behalten Sie diese Tabelle doch einmal im Hinterkopf, wenn Sie das nächste Mal die Entscheidung treffen müssen, ob eine Kuh beispielsweise aufgrund einer unfreiwillig verlängerten Güstzeit aus der Herde gemerzt werden soll – denn vielleicht ist sie gar nicht so unwirtschaftlich, wie es im ersten Moment scheint.
Wann lohnt sich die eine verlängerte Zwischenkalbezeit NICHT?
Ein paar Einschränkungen sprechen auch bei einer hohen 305-Tage-Leistung gegen eine verlängerte Zwischenkalbezeit:
- Bei einer erfahrungsgemäß schlechten Fruchtbarkeit des Einzeltieres oder der ganzen Herde sollte natürlich eher früher als später mit Besamungsversuchen begonnen werden.
- Bei einer schlechten Persistenz lohnt eine verlängerte Zwischenkalbezeit ebenfalls nicht. (schlechte Persistenz: steile Laktationskurve, bei der die Milchleistung nach der Laktationsspitze rapide abnimmt).
- Ist bereits bekannt, dass ein Tier zu einem extremen Brunstverhalten neigt und jedes Mal Unruhe in die Herde bringt, ist es möglicherweise ebenfalls sinnvoller, dieses Tier früh zu besamen, um das Verletzungsrisiko zu mindern.
- Und zuletzt ist auch die Betriebssituation miteinzubeziehen: Wird aufgrund eines hohen Remontierungsbedarfs mehr Nachzucht benötigt oder erzielen Kälber aktuell einen hohen Marktwert, kann dies den Nutzen einer verlängerten Zwischenkalbezeit einschränken. Dies gilt insbesondere für Zweinutzungsrassen.